Ich hab ihn ganz genau beobachtet. Er lief auf Augenhöhe, gerade mal einen Meter von meinem Gesicht entfernt nach Links den Fels entlang und verschwand seelenruhig zwischen einer Spalte und einem Grasbüschel. “Oha!”, dachte ich nur, denn machen konnte ich gerade nicht viel weil ich meine Funktion als Sicherer sehr ernst nehme.

Jessi war scheinbar an der Schlüsselstelle ihrer Tour. Sie baute schon ewig da oben rum. Ich wollte ihr den Durchstieg nicht vermasseln und sie beunruhigen mit dem was mir durch den Kopf ging: “Wo einer ist, sind doch bestimmt auch andere von der Sorte.” - Ist doch so, oder?

Mein Orientierungssinn ist nicht immer der Beste. Vor allem dann nicht wenn es darauf ankommt. Deswegen liess ich die Stelle wo er verschwunden war, nicht mehr aus den Augen. Bis Jessi vor mir stand.

Sogar dann starrte ich an ihrer Schulter vorbei zur besagten Stelle hinter ihr. Ich kannte sie aus Abenteuerfilmen oder von Fotos. In echt war ich noch nie damit konfrontiert worden: “Hast du schonmal einen Skorpion gesehen?”, fragte ich Jessi und packte ihre Schultern um sie umzudrehen.

Sie riss die Augen weit auf und blieb stocksteif stehen. “Oh Gott!” - Weil ich immer noch zum Fels hinter ihr starrte, dachte Sie im ersten Moment, das besagte Tier sitzt gerade auf ihrer Schulter.

Ich berichtete ihr von meiner Beobachtung. Nach dem ersten kurzen Schreck untersuchten wir die Stelle wo das Tier verschwunden war etwas genauer. Tatsächlich! Da war er - unser erster italienischer Skorpion. Klein, schwarz und gerade mal 3 cm groß. Da wir uns zu dem Zeitpunkt in der Nähe von Bozen (Truden/Mühlen) aufgehalten hatten, waren wir beide etwas überrascht, dass es in Norditalien und zu der aktuell doch eher kalten Jahreszeit überhaupt Skorpione gab. Wir hätten die eher in südlicheren Gefilden vermutet. Da wir wussten, dass die bei uns in Europa ansässigen Skorpione nicht giftig sind haben wir auch nichts weiter unternommen, außer unsere Rucksäcke zu schließen und in Sicherheit zu bringen.

Euscorpius italicus

Der italienische Skorpion sticht angeblich eher selten. Falls doch, dann schmerzt deren Stich in etwa so wie ein Wespenstich. Ich wurde schonmal von einer Wespe gestochen. Deswegen hab ich ehrlich gesagt keine Lust drauf mich jetzt auch von einem Skorpion picksen zu lassen. Nur weil er der Meinung ist, er müsse sein Felsspaltenversteck gegen mich verteidigen nachdem ich es als optimalen Griff identifiziert hatte. Der Skorpion

Neben uns spielten schon die ganze Zeit ein paar Kinder und Jessi rief sie zu sich um ihnen den Skorpion zu zeigen. Der kleinere der beiden war total aufgeregt und fing an zu brüllen: “Mama, schau mal ein Skorpion!” - so schnell schauten wir gar nicht, wie die Wand auf einmal leer war. Jeder einzelne der drei übrigen Seilschaften stand innerhalb von 1 Minute hinter uns.

“Der ist ja mini.” - meinte jemand enttäuscht. “Bestimmt wächst er noch.” - rief jemand anderes. Alle waren sie auf jeden Fall genauso überrascht wie wir. Sonst hätten sie nicht (ohne Ausnahme) in so kurzer Zeit ihre Tour abgebrochen und die Wand geräumt.

Erinnerungswert

Jetzt hab ich nicht nur meinen ersten Skorpion gesehen, sondern weiß auch wie ich dafür sorge, dass ich das nächste Mal meine Lieblingsroute schnell frei bekomme und andere animiere vor dem Fels etwas weniger Material-Chaos zu erzeugen ;)

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